Eine neue Formulierung geht um in Deutschland. Das nachgestellte Genitivpronomen. Stilistisch ist das mehr oder weniger schauerlich, wie einige Beispiele zeigen:
(1) Erforderlich ist „eine Prüfung der Genehmigungspflichtigkeit und der Ausnahmen dieser“.
(2) „Die Norm enthält vier Tatbestandsmerkmale. Die Bedeutung deren muss näher betrachtet werden“.
(3) „Die Weimarer Reichsverfassung wurde […] entworfen. Kernelemente dieser waren die Gewaltenteilung […]“
(4) „[…] abnehmendes Vertrauen in das politische System sind Symptome dessen“.
Sprachlich geht es auch anders, und das ganz leicht:
(1) Erforderlich ist „eine Prüfung der Genehmigungspflichtigkeit und ihrer Ausnahmen“.
(2) „Die Norm enthält vier Tatbestandsmerkmale. Deren Bedeutung muss näher betrachtet werden“.
(3) „Die Weimarer Reichsverfassung wurde […] entworfen. Kernelemente waren die Gewaltenteilung […]“. Oder: Ihre Kernelemente waren …
(4) „[…] abnehmendes Vertrauen in das politische System zeigt das/ weist darauf hin/ gehört zu den Symptomen dieses Befunds“.
Sie sehen, dass ich auf unterschiedliche Arten umformuliert habe. Manchmal hilft das Ausbrechen aus der Substantivitis durch Einfügung eines (anderen) Verbs, wie im letzten Beispiel,[*1] manchmal kann das nachgestellte Relativ- oder Demonstrativpronomen auch einfach ersatzlos entfallen (Beispiele 3, 4).
Zentral aber ist: Bekanntlich gibt es das sogenannte Personalpronomen (zB er, sie, es). Es kann dekliniert werden, also alle Formen annehmen. Es muss in der Regel gerade nicht durch ein Demonstrativpronomen wie „dieser“ oder ein Relativpronomen wie „dessen“ ersetzt werden — schon gar nicht hinter dem zentralen Substantiv. Die Beispiele 1 und 2 zeigen das. Spätestens beim Korrekturlesen können diese unschönen Fehlstellungen korrigiert werden.
Nachtrag:[*2] Im Beispiel (2) wäre auch denkbar: Ihre Bedeutung muss näher betrachtet werden. „Ihre“ bezöge sich dann auf das Wort „Die Norm“. Der Satz drückt dann also etwas Anderes aus.
Wo wir gerade dabei sind: noch etwas mehr zum Genitiv (und dem Dativ)[*3]:
In den letzten Jahren werden auch vom Duden Dativkonstruktionen für zulässig erklärt, die früher eindeutig als falsch gegolten hätten. Das macht es im gewissen Sinne schwieriger, weil man noch sorgfältiger prüfen muss, ob eine Verbkonstruktion oder eine Präposition wirklich „mit dem Dativ oder doch gerade mit dem Genitiv steht“ — oder ob beides zulässig wäre. Selbst wenn es zulässig ist, kann man aber über die Schönheit nachdenken — die ältere Generation jedenfalls stolpert manches Mal über die neueren Fassungen. Zur Schulung der Aufmerksamkeit (und/oder des Stils) einige Beispiele:
(1) „Sie nahmen sich den Ideen einer ‚Neuen sozialen Ordnung‘ unter der Besatzungsherrschaft an.“
„Solchen Diskussionen nimmt sich XY in seinem Buch an“
Gängig ist oder sollte sein: Sich einer Sache annehmen, also Genitiv statt Dativ. Die Sätze lauteten dann also:
Sie nahmen sich der Ideen einer … an.
Solcher Diskussionen nimmt sich XY in seinem Buch an.
(2) „Entgegen des ILO-Grundgedankens habe sich der Nationalismus ...“
„Entgegen des Wortlauts“
Gängig ist oder sollte sein: Entgegen einer Sache/einem Phänomen, also Dativ statt Genitiv, wie etwa auch bei der Formulierung „jemandem entgegen gehen“. Die Sätze lauteten dann also:
Entgegen dem ILO-Grundgedanken […]
Entgegen dem Wortlaut
Vielleicht hilft bei alldem etwas Sprachhumor? Sprechen Sie laut und langsam:
„Genitiv ins Wasser, weil es Dativ ist.“[*4]
Zu ergänzen wäre: Es sei denn, es ist Genitiv!
Pascale Cancik, 30.6.2025
[*1] Zu Substantivitis auch: Welzel, Lernchance Sprache und Stil 4 vom Juli 2016.
[*2] Dank an Bernd J. Hartmann.
[*3] Zum Dativ auch: Schaaf, Lernchance Sprache und Stil 14 vom September 2022; zum Genitiv nach der Präposition „wegen“: Hartmann/Welzel, Lernchance Sprache und Stil 11 vom März 2017; zur Präposition „wider“: Hartmann, Lernchance Sprache und Stil 5 vom August 2016.
[*4] Der Satz stammt vielleicht von Bastian Sick, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, 2004. Für einen genauen Nachweis sind wir dankbar.