„Enumerative Aufzählung der Sozialisierungsgegenstände“ — so lautet eine Überschrift zu Art. 15 GG,[*1] im folgenden Absatz des Kommentars heißt es: „Die enumerative Aufzählung in Art. 15 stellt zumindest ihrem Wortlaut nach eine deutliche Abkehr von diesem weiten Ansatz der Weimarer Reichsverfassung dar.“[*2] Die Verwendung der Wort-Kombination „enumerative Aufzählung“ ist in juristischen Texten weit verbreitet.[*3] Nur zwei weitere Beispiele: „Die enumerative Aufzählung der Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt in den §§ 1570-1573, 1575-1576 ist abschließend.“[*4]; „§ 2 Abs. 1 ArbGG regelt durch eine enumerative Aufzählung die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Maßgeblich ist, ob der jeweilige Rechtstreit einem der enumerativ aufgezählten Fälle unterfällt […].“[*5]
Doch was bedeutet diese Beschreibung? Das Wort „enumerativ“ stammt aus dem Lateinischen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet der Begriff schlicht „aufzählend“.[*6] Eine „enumerative Aufzählung“ wäre also eine „aufzählende Aufzählung“ und somit redundant.
Etwas anderes könnte sich aber dann ergeben, wenn diese Wortkombination in der Fachsprache eine andere Bedeutung hat und es sich bei der „enumerativen Aufzählung“ um einen Fachbegriff handelt. Es gibt das „Enumerationsprinzip“[*7]. Das „Enumerationsprinzip“ ist ein gesetzgeberisches Verfahren, eine Reihe von Einzeltatbeständen aufzuzählen, anstatt sie mit einer globalen Bezeichnung (Generalklausel) zu umfassen.[*8] Es stammt aus dem lateinischen Grundsatz „enumeratio, ergo limitatio“. Dieser beschreibt, dass Aufzählungen im Gesetz abschließend sind.[*9] Hieraus hat sich dann die Konstruktion der „enumerativen Aufzählung“ gebildet, die eigentlich eine abschließende Aufzählung meint. So wird der Begriff „enumerativ“ im Rechtswörterbuch auch als „(abschließend) aufzählend“[*10] verstanden. Das juristische Verständnis des Begriffs geht damit über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus.
Doch selbst mit dieser Erklärung ist der Begriff der „enumerativen Aufzählung“ wenig sinnvoll. Auch im juristischen Verständnis formuliert er doppelnd eine „abschließend aufzählende Aufzählung“. Auf eine solche Redundanz sollte man verzichten. Die Beispielsätze lassen sich durch eine klarere Formulierung verbessern: „Enumeration der Sozialisierungsgegenstände“, wenn man das Fremdwort behalten will, „Abschließende Aufzählung“, wenn man es streichen und die Alliteration gewinnen möchte. „Die abschließende Aufzählung in Art. 15 stellt zumindest ihrem Wortlaut nach eine deutliche Abkehr von diesem weiten Ansatz der Weimarer Reichsverfassung dar.“; „Die Aufzählung der Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt in den §§ 1570-1573, 1575-1576 ist abschließend.“; „§ 2 Abs. 1 ArbGG regelt durch eine abschließende Aufzählung die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Maßgeblich ist, ob der jeweilige Rechtstreit einem der aufgezählten Fälle unterfällt […].“
Mehr zum Thema finden Sie bei Hartmann/Welzel, Sprache und Stil, in: Hartmann (Hrsg)., Hausarbeit im Staatsrecht. Musterlösungen und Gestaltungsrichtlinien für das Grundstudium, 5. Aufl. 2023, S. 20 (28).
Tobias Welzel
[*1] Durner, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), GG, Art. 15 Rn. 29 (Stand: 87. EL, März 2019).
[*2] Durner, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), GG, Art. 15 Rn. 29 (Stand: 87. EL, März 2019).
[*3] Eine Suche in der Datenbank „beck-online“ ergibt über 10.000 Treffer.
[*4] Maurer, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1569 Rn. 28 dort mit Hervorhebungen.
[*5] C. Ulrich, in: Moll (Begr.)/Eckhoff/Reufels (Hrsg.), Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2025, § 77 Rn. 37.
[*6] Duden, Stichwort „enumerativ“, https://www.duden.de/rechtschreibung/enumerativ [letzter Abruf: 21.07.2025];
[*7] Hierzu z. B. Walter, in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 93 Rn. 185 (Stand: 80. EL, Juni 2017).
[*8] Weber, in: ders., Rechtswörterbuch, 34. Ed. 2025, Stichwort „Enumerationsprinzip“; DWDS, Stichwort „Enumerationsprinzip“, https://www.dwds.de/wb/Enumerationsprinzip [letzter Abruf: 21.07.2025].
[*9] Zur Anwendung des lateinischen Grundsatzes auch heutzutage nur LSG Thüringen, Urteil v. 21. Oktober 2015 — L4AS 1751/12, Rn. 68, juris.
[*10] Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, 34. Ed. 2025, Stichwort „enumerativ“.