Ist die Erhebung der Anrede zum Zwecke der anschließenden personalisierten Ansprache erforderlich?
Mit dieser Frage beschäftigte sich der EuGH zuletzt im gegenständlichen Urteil und hält im Ergebnis fest, dass eine solche Erhebung im Rahmen der Vertragsabwicklung aus folgenden Gründen nicht zwingend ist:
Die allgemeine Verkehrssitte in der geschäftlichen, privaten und behördlichen Kommunikation sei hierfür kein ausreichendes Argument. Denn in der Regel sei die geschlechtsspezifische Anrede nicht für die Vertragserfüllung erforderlich. Entscheidend für eine Erforderlichkeit sei, dass die Verarbeitung für die Vertragserfüllung wesentlich ist und daher keine praktikablen und weniger einschneidenden Alternativen bestehen; die allgemeine Höflichkeitsformel allein begründe noch keine Pflicht zur Kommunikation der Geschlechtsidentität.
Was gilt für Hochschulen?
Denkbar ist zwar eine Pflichtangabe im Rahmen von Beförderungsverträgen wie aus o.g. Urteil durchaus, z.B. bei einer Reise in Nachtzügen mit Waggons, die für Personen mit derselben Geschlechtsidentität reserviert sind; in der Regel ist aber eine solche Angabe nicht zur Vertragserfüllung im öffentlichen Dienst im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO notwendig.
Gem. Art. 6 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 DSGVO in Verbindung mit dem BayHIG kann die Erhebung der Anrede aber im Rahmen der Hochschulaufgaben beispielsweise in folgenden Fällen erforderlich sein:
- Programme/Projekte innerhalb der Hochschule, die lediglich an weibliche Personen gerichtet sind (z.B. Mentorinnen)
- Einhaltung der Frauen-Quotenregelung
- Empirische Erhebungen, bei denen für die Forschungsfrage eine geschlechtsdifferenzierte Auswertung erfolgen muss (Anrede und Geschlecht werden hierbei auch zu anderen Zwecken als der persönlichen Kommunikation erhoben; dann erscheint auch eine geschlechtsspezifische Anrede aus datenschutzrechtlicher Sicht gerechtfertigt)
Soweit eine Hochschule also die Angabe der Anrede allein zum Zweck der personalisierten Anrede heranziehen möchte, müsste dies für den Hauptgegenstand des Vertrags erforderlich sein. Wenn dem nicht so ist, und auch keine dahingehende Einwilligung vorliegt, sollte bei Möglichkeit auf die Erhebung der Anrede gänzlich verzichtet und auf Alternativen wie "Guten Tag" zurückgegriffen werden. Aufgrund der Grundsätze der Richtigkeit und Aktualität von Daten gem. Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO sollte hierbei zumindest die Möglichkeit der Wahl einer geschlechtsneutralen Anrede angeboten werden (z.B. "divers", "keine Angabe").
EuGH, Urteil vom 09.01.2025 (C-394/23)