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Gegenkulturelle Wissenschaft?

Ronald Laings, Thomas Szasz's und David Coopers Weg vom Psychiater zum Antipsychiater vor dem HIntergrund gesellschaftspolitischer Strömungen der 1960er Jahre

Masterprojekt von Charlotte Vallaster

Im Rahmen der Antipsychiatrie-Bewegung der 1960er/70er Jahre ist die Definition psychischer Krankheit Gegenstand kontroverser Debatten. Wesentlichen Anteil daran hat der englische Psychiater Ronald D. Laing. Der ausgebildete Psychiater forscht Ende der 50er Jahre zur Entstehung von Schizophrenie und leitet hieraus die Überzeugung ab, diese stelle keine Krankheit dar, sondern einen sozialen Zustand – in Wahrheit sei es die selbst entfremdete bürgerliche Gesellschaft, die dem Wahnsinn verfallen sei. Daraus abgeleitet, erprobte Laing in seinem Modellprojekt, einem Wohnheim namens Kingsley Hall, neue Umgangsweisen und Therapieformen mit Schizophreniepatient*innen. Der Werdegang Laings vom Psychiater zum Antipsychiater stellt in jedem Fall einen tiefgreifenden Bruch in seiner Berufsbiografie dar, doch steckt dahinter nicht vielmehr auch ein Lebenswandel, eine Veränderung seiner Identität?

Ineressant erscheint in diesem Zusammenhang eine 2023 erschiene Dissertation von Marina Lienhard, welche sich mit der Geschichte des Schizophreniekonzepts beschäftigt.  Laing habe sich zu einem scientifiic political activist gewandelt, so die These Lienhards. Dieser Wandel sei mit einer bestimmten Art und Weise des Verhaltens sowie Auftretens einhergegangen, welche in ihrer Arbeit als Teil eines Radikalisierungsprozesses begriffen und mit David Kaisers und Patrick McCrays Konzept des groovy scientist beschrieben werden.

Interessant ist, dass ein ähnlicher Wandel der Persona, wie ihn Lienhard bei Laing beschreibt, auch für andere zentrale Figuren der Antipsychiatrie-Bewegung festgestellt werden kann. Als Antipsychiater wurden neben Laing vor allem David G. Cooper und Thomas S. Szasz bekannt. Auf den ersten Blick weisen die Lebensläufe aller drei Personen deutliche Gemeinsamkeiten auf: Szasz, geboren 1920 in Budapest, emigriert angesichts des aufstrebenden Faschismus in Europa in die USA und durchläuft dort, ähnlich wie Laing, zunächst einen konventionellen Weg in die klinische Psychiatrie, bevor er deren Grundlagen anzuzweifeln beginnt und alternative Wege vorschlägt: Er studiert in Cincinnati Medizin, in Boston und Chicago durchläuft Szasz seine Ausbildung zum Psychiater. Von 1951 bis 1956 arbeitet er als Lehranalytiker am Psychoanalytischen Institut, ehe er Professor für Psychiatrie an der State University of New York wird. Zusammen mit der Scientology-Organisation gründet er die „Citizens Commission on Human Rights“, auch wenn er sich selbst explizit nicht als Scientologen betrachtet - und im Übrigen, ebenso wie Laing, auch nicht als Antipsychiater bezeichnet werden möchte. Von der zeitgenössischen antipsychiatrischen Szene wird Szasz auch nicht als solcher betrachtet, auch wenn sein erstes veröffentlichtes Buch "The Myth of Mental Illness" als einer der Ursprünge der Bewegung gilt. Es basiert in seiner Abwendung von der Psychiatrie, ähnlich wie in Laings Fall, auf einer eigenen langen Studie, die Szasz den hysterischen Manifestationen gewidmet hat.

Den Begriff „Antipsychiatrie“ führt Cooper ein. Auch sein Lebenslauf weist von der traditionellen psychiatrischen Ausbildung und Tätigkeit über die Interpretation neuer Forschungsergebnisse zur Abwendung von der Psychiatrie sowie zur experimentellen Realisierung einer eigenen therapeutischen Gemeinschaft: Von 1962 bis 1966 leitet Cooper ein Wohnprojekt für Schizophreniepatient*innen in Villa 21 des Shenley Hospital in Hertfordshire, England, wo er seit 1955 als Psychiater tätig ist. Die Idee zu einer solchen Wohngemeinschaft fußt bei Cooper zum einen auf den Studien Laings bezüglich des familiären Hintergrunds von Schizophreniepatient*innen, zum anderen auf seinen eigenen Erfahrungen als Psychiater in konventionellen psychiatrischen Stationen.

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Parallelen stellt sich die Frage nach den Ursachen, die einen solchen Wandel vom Psychiater zum Antipsychiater hervorrufen: Inwiefern ist diese Veränderung der scientific persona bei Laing, Cooper und Szasz als Schlüsselfiguren der Antipsychiatrie-Bewegung Ausdruck ihrer Zeit? Diese Frage soll in der Masterbeit geklärt werden, um die Auswirkungen gesellschaftspolitscher Gegebenheiten auf Arbeitsweisen und Selbstbilder von Wissenschaftler*innen am konkreten Beispiel der Persona des Antipsychiaters aufzuzeigen.

Die der Masterarbeit zugrundeliegende These lautet demnach, dass Laing, Szasz und Cooper sich, was ihre scientific persona betrifft, im Laufe der 1960er Jahre schrittweise von Denkweisen und Methoden der naturwissenschaftlich ausgerichteten Psychiatrie entfernen und dass diese Abwendung vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher und gesellschaftspolitischer Strömungen der 1960er Jahre erklärt werden kann – allen voran der freiheitsliebenden, antiautoritären und antiinstitutionellen Tendenzen der damaligen Gegenkultur. Des Weiteren wird die Verhaftung der Antipsychiater in Philosophie, Politik und Soziologie der 1960er Jahre in Zusammenhang mit ihrer Wirkkraft und Rezeption sowohl in der damaligen Zeit als auch der heutigen Zeit gebracht.


  1. Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften
  2. Institut für Philosophie